Die Grundannahmen der Neuropsychiatrie in Anlehnung an J. L. Cummings
Neuropsychiatrie meint nicht, dass alle psychischen Störungen primär biologisch verursacht sind. Die Grundannahmen der Neuropsychiatrie lassen sich in Anlehnung an J. L. Cummings so zusammenfassen:
jedem psychischen Zustand entspricht ein neuronales Korrelat – die Hirnstruktur/-funktion ist bio-psycho-sozial bedingt
alle neuropsychiatrischen Syndrome (d.h. alle Störungen von Verhalten und Erleben, defizitär oder produktiv) sind Ausdruck einer regionalen oder globalen Hirn-Dysfunktion
eine Hirn-Dysfunktion kann strukturell („Schaltkreis“) oder synaptisch/chemisch („Regelkreis“) sein
eine Hirn-Dysfunktion ist eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung neuropsychiatrischer Syndrome
eine für ein Individuum einzigartige Verhaltensauffälligkeit ist eher „psycho-sozial“ bedingt („Regelkreis“, „psychodynamisch“)
eine zwischen Individuen invariante Verhaltensauffälligkeit ist eher Ausdruck einer „biologischen“ Affektion des Gehirns („Schaltkreis“, „neurologisch“)
biologische Affektionen des Gehirns verursachen typischerweise kombinierte neuropsychiatrische Syndrome (z.B. depressives Syndrom kombiniert mit Aphasie und Hemiparese rechts)
Psycho- und Somatotherapie wirken beide über eine Beeinflussung der Hirnstruktur/-funktion
„Neuropsychiatrie“ meint nicht „biologistische Psychiatrie“ sondern will alles „psychiatrische“ und „neurologische“ als Phänomene eines Kontinuums denken und verstehen
Das Leib-Seele-Problem ist damit natürlich nicht gelöst. Es ist aber dennoch wichtig, sich diese Grundannahmen zu vergegenwärtigen, wenn man über Zusammenhänge von klinischen Symptomen und neuronalen Zuständen spricht bzw. Diagnosen stellt und Therapien plant.