Die Atmung - Verbindung von Körper und Geist


Die Atmung hat seit jeher in allen Kulturen eine grosse Bedeutung. Dies nicht nur, weil wir atmen müssen um zu leben, sondern auch, weil eine Verbindung zwischen Atmung und Geist besteht. In China wurde die mit dem Atem verbundene Lebensenergie Qi, im Hinduismus in Indien Prana und im alten Griechenland Pneuma genannt.

Die Atmung ist zudem die einzige Funktion des vegetativen Nervensystems, die wir bewusst und willentlich beeinflussen können. Über die Tiefe und den Rhythmus der Atmung können wir so Einfluss auf Konzentration und Emotionen nehmen.

Physiologie des Atmens

Wenn wir einatmen geht frische Luft und mit ihr Sauerstoff (O2) durch die Bronchien, dann Bronchiolen und zuletzt die Alveolen, wird ins Blut aufgenommen und durch das Binden an Hämoglobin in den Körper transportiert. Im Gewebe wird der Sauerstoff dann wieder abgegeben. Dort wird er zusammen mit Glukose zur Energiegewinnung gebraucht. Kohlendioxid (CO2) entsteht und muss wieder abtransportiert werden, was auch über das Hämoglobin geschieht. Nur wenn genügend Kohlendioxid im Gewebe ist (und damit das Blut lokal etwas saurer wird, der pH sinkt) wird es unter Abgabe des Sauerstoffs vom Hämoglobin gebunden. Kohlendioxid - wenn auch “Abgas” - ist deshalb wichtig, damit Sauerstoff überhaupt ins Gewebe abgegeben wird.

Wird das Blut saurer, gibt das Hämoglobin nicht nur Sauerstoff sondern auch Stickoxid (NO) ab, welches die Gefässe erweitert, so dass die Blut- und damit die Sauerstoff- und Glukose-Versorgung des Gewebes besser wird. Dies gilt aber auch umgekehrt. Sinkt das Kohlendioxid im Blut, so steigt der pH (das Blut wird alkalischer) und entsprechend wird weniger Sauerstoff bzw. Stickoxid abgegeben. Die Sauerstoff- und Glukoseversorgung des Gewebes wird damit gedrosselt.

Wird im ganzen Körper durch Aktivität so viel Sauerstoff verbraucht, dass das Kohlendioxid im ganzen Blutkreislauf - nicht nur lokal - steigt und damit der pH sinkt, so wird dies von Chemorezeptoren in der Medulla oblongata (Hirnstamm) detektiert und die Atemfrequenz wird erhöht, um mehr Kohlendioxid abzuatmen bzw. Sauerstoff aufzunehmen.

Hyperventilieren - Überatmen

Wenn man z.B. aus Angst mehr atmet als für die körperliche Aktivität nötig wäre (als zu tief und/oder zu schnell), so wird mehr Kohlendioxid abgeatmet und der pH des Bluts steht an. Die Sauerstoffabgabe und die Dehnung der Gefässe wird gedrosselt, obwohl sich am lokalen Stoffwechsel nichts geändert hat und nicht mehr Kohlendioxid entstanden ist. Das durch die Angst ausgelöste und zum Fight or Flight-Reflex gehörende verstärkte Atmen ist also kontraproduktiv und führt zu einer schlechteren Sauerstoff- und Glukoseversorgung des Körpers und damit auch des Gehirns.

Durch die Alkalisierung des Blutes kommt es zudem zu Elektrolytverschiebungen. Z.B. wird das Kalzium im Blut an Proteine gebunden und es sinkt die freie Kalzium-Konzentration. Damit wiederum sind Nerven- und Muskelzellen leichter erregbar und es kommt neben Kribbeln auch zu Muskelkrämpfen und Fatigue. Auch die glatte Muskulatur in den Gefässwänden, Bronchien und im Magen-Darm-Trakt ist betroffen mit in der Folge Vasokonstriktion, Bronchokonstritktion bzw. Übelkeit und Veränderung der Darmmotilität.

Alle Effekte zusammen können folgende Symptome zur Folge haben:

  • ‘Lightheadedness’, ‘Dizziness’ und ‘Wattekopf’

  • Konzentrationsprobleme

  • Agitation, Störung der Emotionsregulation

  • Derealisation und Depersonalisation

  • Verschwommensehen

  • Herzklopfen, Druck auf der Brust

  • Atemnot, Kurzatmigkeit, Engegefühl im Hals, Asthma-Symptome

  • Trockener Mund, Übelkeit, Verdauungsstörung

  • Muskelverspannungen, Zittern

  • Kribbeln in Händen und Füssen

Alle diese Symptome können ihrerseits wieder Angst auslösen, womit ein Teufelskreis (vgl. Angstkreis) ausgelöst wird. Der beschriebene Mechanismus mit Abatmen von zu viel Kohlendioxid mit allen damit verbundenen Symptomen entspricht dem “Hyperventilieren”. Es muss aber nicht “dramatisch” sein wie bei der Hyperventilationsattacke, sondern kann auch ein subtiles, von aussen als solches nicht wahrnehmbares, zu schnelles und tiefes Atmen sein. Es wird auch als ‘Overbreathing’, Überatmen bezeichnet. Physiologisch meint beides dasselbe, beim Überatmen schwingt aber nicht die Beurteilung als Panikattacke oder histrionische Störung mit. Dazu kommt, dass das Überatmen chronisch sein kann mit weiteren negativen Folgen.

Wird überatmet steigt wie erläutert der pH, das Blut wird alkalisch. Dies wird dann durch die Nieren kompensiert, indem sie mehr Bikarbonat ausscheiden. Damit verschlechtert sich aber beim chronischen Überatmen die Pufferfähigkeit von kurzfristigem CO2-Anstieg, was zu einer schlechteren körperlichen Fitness und auch Fatigue führt. Um den Säuregehalt tief zu halten wird in der Folge noch mehr überatmet.

Chronisches Überatmen kann zahlreiche Störungen auslösen, verstärken oder auch unterhalten:

  • Panikstörung

  • Phobien und generalisierte Angsterkrankung

  • Konzentrationsstörungen

  • Fatigue und Schlafstörungen

  • Migräne und Spannungskopfschmerzen

  • Epilepsien

  • Herzrhythmusstörungen

  • Asthma

  • Reizdarmsyndrom

Ob jemand überatmet ist nicht einfach festzustellen. Mit Sicherheit kann dies nur durch die Messung des CO2 im Blut festgestellt werden (Kapnometer). Es gibt aber Hinweise, die für das Vorliegen von Überatmen sprechen:

  • Häufiges Gähnen und Seufzen

  • Atemnot beim Sprechen

  • Hektisches Einatmen

  • Atem anhalten

  • Tendenz zum Atmen durch den Mund

Die “low and slow”-Atmung

Häufig hört man den Ratschlag “Atme tief durch!”, um sich zu beruhigen, zu entspannen oder auch, um Schmerzen auszuhalten. Das tiefe Einatmen fühlt sich entspannend und beruhigend an. Wird dann aber schnell und seufzend ausgeatmet, so wird - zumindest bei wiederholtem tiefem Atmen - das Gegenteil von Beruhigung erreicht. Es wird nämlich wieder überatmtet, da das Atemvolumen relativ zum abzuatmenden CO2 viel zu gross ist.

Wichtig ist, dass die Ausatmung auch langsam erfolgt, also “low and slow”. Eine tiefe und rhythmische Atmung mit genügend langer Ausatmung kann durch das Singen von Liedern oder Rezitieren in vorgegebenen Rhythmen erreicht werden (Beten des Rosenkranzes oder Aufsagen von Mantren wie “om mani padme hum”). Darin dürfte der Grund dafür liegen, dass solche Techniken kulturübergreifend bei Meditation und Kontemplation seit Jahrtausenden zum Einsatz kommen. Auch können Körperübungen eingesetzt werden, um den Atemrhythmus zu steuern. Die bekanntesten Formen sind Qigong und Pranayama, die Atemschule des Hatha-Yoga. Auch Apnoe-Taucher bedienen sich verschiedener Atemtechniken, um entspannt und länger ohne einen Atemzug unter Wasser bleiben zu können. In der Psychotherapie bzw. in Programmen zur Stressreduktion haben auch zahlreiche Atemübungen Einzug gehalten:

  • Tiefe Bauchatmung

  • 4-6-Atemtechnik

  • Atementschleunigung: 3 Sekunden Pause vor dem Ein- und dem Ausatmen

  • Wechselatmung

  • Gute Gedanken: Beim Einatmen “Ich atme ruhig ein”, bei der Ausatmung “Ich lasse den Stress gehen”

  • Atemmeditation

  • Biofeedback

Das langsame Atmen mit 6 Atemzügen pro Minute wirkt nicht nur dem Überatmen entgegen sondern hilft auch, die Regelkreise Herzrate, Blutdruck und Atmung zu synchronisieren (cf. Herzratenvariabilitätstraining).

Die Herzratenvariabilität (HRV) wird dabei erhöht mit Zunahme der niedrigen Frequenzen (LF) und Abnahme der sehr niedrigen (VLV) und hohen (HF) Frequenzen im Spektrum. Dies kann als Ausdruck eines besseren Gleichgewichts zwischen sympathischer und parasympathischer Aktivität (bzw. der Verstärkung der paarsympathischen Aktivität bei erhöhtem Sympathikotonus im Rahmen von Stress) verstanden werden und geht einher mit dem Gefühl von Entspannung, Leichtigkeit, Freude und positiver Energie.

Untersuchungen mit EEG und NIRS (Near-Infraread Spectroscopy) konnten eine Zunahme der Alpha-Aktivität bzw. der frontalen Oxygenierung (Sauerstoffversorgung des Stirnhirns) nachweisen als mögliches Korrelat gleichzeitiger Entspannung und Fokussierung. Dieser Effekt dürfte zum Teil “bottom-up” vermittelt sein: eine erhöhte HRV moduliert über Verbindungen vom afferenten Vagus und dem Präfrontalkortex die Hirnaktivität (cf. frontal-vagale Netzwerktheorie).

Darüber hinaus konnte aber auch gezeigt werden, dass der Atemrhythmus die neuronale Aktivität des gesamten Gehirns moduliert. Durch die rhythmische mechanische Stimulation der Riechkolben wird nicht nur die neuronale Aktivität in der Richrinde sondern von dort ausgehend diejenige gesamten Gehirns synchronisiert. Gekoppelt an diese Rhythmen können auch Gamma-Oszillationen (40 bis 100 Hz) gemessen werden, welche mit diversen kognitiven Prozessen in Verbindung gebracht werden. Zumindest bei Mäusen konnten kurze hochfrequente Oszillationen im Hippokampus (“sharp wave ripples”) beim Übergang vom Ein- zum Ausatmen nachgewiesen werden. Solche “sharp wave ripples” scheinen bei der Übertragung von Gelerntem ins Langzeitgedächtnis eine wichtige Rolle zu spielen: Inhalte, die während des Einatmens gelernt werden, können besser behalten werden.

 
Hirn und Atmung.jpg
 

Es ist zusammengefasst also richtig, in der Atmung auch eine Verbindung von Körper und Geist zu sehen. Über willentlich gesteuerte Atemmuster (‘low and slow’) werden vegetative Funktionen aber auch Hirnrhythmen moduliert und synchronisiert und damit das Denken, Fühlen und Handeln positiv beeinflusst.


Literatur

Schmid, GB: Optimale Atmung für die Entspannung: Die 4-6-Atemtechnik. Schweiz Z Ganzheitsmed 2011; 23: 84-86.

Khazan, I: The clinical handbook of biofeedback. A step-by-step guide for Training and Practice with mindfulness. Wiley-Blackwell 2013.

Zaccaro, A et al.: How Breath-Control Can Change Your Life: A systematic Review on Psycho-Physiological Correlates of Slow Breathing. Frontiers in human neuroscience 2018; 12, 353

Khazan, I: Biofeedback and mindfulness in everyday life. Practical solutions for improving your health and performance. Norton New York 2019.

Heck, HF: Bewusst atmen, klar denken. Gehirn&Geist 2019; 10, 12-19.

Iseger, TA et al: A frontal-vagal network theory for Major Depressive Disorder:Implications for optimizing neuromodulation techniques. Brain Stimulation 2020; 13, 1-9.